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Beitrag vom 14.10.2015
Germaine Krull – Fotografien. Ausstellung vom 15. Oktober 2015 bis 31. Januar 2016. Der Katalog erscheint im Hatje Cantz Verlag
AVIVA-Redaktion
Zusammen mit dem Jeu de Paume, Paris, widmet ihr der Martin-Gropius-Bau eine umfassende Werkschau. Die kosmopolitische, unkonventionelle Fotografin gilt als Entdeckerin der Moderne, prägte ...
... . einen neuen Typus technischer Fotografie, bewegte sich zwischen Surrealismus und Realismus, und war wie Margaret Bourke-White eine der ersten weiblichen Kriegsberichterstatter.
Germaine Krull (1897-1985) galt in den zwanziger Jahren in Paris als die Fotografin der Intellektuellen und als bedeutende Vertreterin ihrer Kunst. André Malraux stellte ihre Fotos aus, gleichberechtigt neben moderner Malerei. Jean Cocteau bescheinigte ihr, sie habe mit ihrer Kamera "eine neue Welt entdeckt, in der Technik und Seele einander durchdringen", und Walter Benjamin nahm sie in seine "Kleine Geschichte der Fotografie" auf. Er schätzte Germaine Krulls politisch wie menschlich engagierte Haltung ebenso wie ihre radikale Bildästhetik und wies ihr den gleichen künstlerischen Rang zu wie August Sander und Karl Blossfeldt.
Germaine Krull profilierte sich als unverwechselbare Fotografin vor dem Hintergrund einer kosmopolitischen Biografie. Geboren in Wilda-Poznan, aufgewachsen in Italien, Frankreich und der Schweiz, begann sie 1915 ihre Fotografie-Ausbildung an der Münchner Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie, Chemigraphie, Lichtdruck und Gravüre, und eröffnete dort 1917 ihr erstes Fotoatelier, wo u.a. ihr berühmtes Porträt von Kurt Eisner entstand. Nach ihrer durch die Wirren der Räterepublik bedingten Ausweisung lebte die politische Aktivistin Germaine Krull in Russland, bevor es sie nach Berlin, Amsterdam und 1925 schließlich nach Paris verschlug.
Dort gelang ihr mit außergewöhnlichen Fotografien von technischen Bauwerken, Häfen, Industrieanlagen und Automobilen der Durchbruch. Sie schuf einen neuen Typus technischer Fotografie, der ohne spektakuläre Bildrhetorik auskommt.
Mit ihrem ersten Fotobildband "Metall" (1928), einer Hymne auf die Ingenieurskunst, avancierte die leidenschaftliche Autofahrerin Germaine Krull zur internationalen Avantgarde der Fotograf_innen. Befreundet mit Sonia und Robert Delaunay, Man Ray und André Kertész, übernahm sie zahlreiche Aufträge für Zeitschriften, Mode und Werbung. Ihre Portraits und Straßenmotive – darunter eine Reportage über die Pariser Clochards – waren geprägt durch einen unkonventionellen Realismus, der mit ungewohnter Sichtweise und fragmentierendem Bildausschnitt den Einfluss des Neuen Sehens der Bauhausschule erkennen lässt. Allerdings rückte sie die Obdachlosen auch romantisierend in ihren Fokus, da sie davon ausging, dass sie nicht aus Not, sondern aus Rebellion auf der Straße lebten. Einräumen musste sie später auch, die meisten der von ihr Portraitierten nicht einmal um Erlaubnis gefragt zu haben.
Für Benjamin war es nicht so sehr die Technik-Begeisterung, die ihm Germaine Krulls Fotos so bedeutsam machten, sondern deren "Wiedergabe der Realität".
Dass Germaine Krull mit ihrer Kamera politisches Verständnis der Realität erreichte, hing nicht nur mit ihrem künstlerischen Werdegang zusammen: Sie teilte die Begeisterung ihrer sozialistischen Freund_innen in München–Schwabing für den revolutionären sowjetischen Film.
Über Berlin und Amsterdam kam sie nach Paris, das bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ihre (künstlerische) Heimat blieb. Nach 1945 erkannte Germaine Krull, dass das Fotografieren nicht mehr das intellektuelle und künstlerische Abenteuer bleiben werde, das es zwischen den Kriegen gewesen war. Die Medien hatten kein Interesse mehr an künstlerischen Aussagen der Fotograf_innen. Viel eher sollten fortan Artikel bebildert werden.
Als logische Konsequenz ging Germaine Krull als Fotodokumentaristin in den Fernen Osten, nach Bangkok, und kehrte erst nach 15 Jahren zu Ausstellungen ihrer Fotos nach Paris zurück. Noch als Siebzigjährige schloss sie sich den nach Nordindien geflohenen Anhänger_innen des tibetischen Dalai Lama an und lebte längere Zeit mit ihnen in einem alten Tempel.
Germaine Krull starb am 30. Juli 1985 im Alter von 88 Jahren fast vergessen in einem Altersheim in Wetzlar.
Der Bildband, erschienen im Hatje Cantz Verlag – "Germaine Krull"
Elektrische Anlagen, Technische Bauwerke, Hafen- und Industrieanlagen, das Paris der 1920er-Jahre: Germaine Krull zählt zu den Entdeckerinnen der Moderne. Ihre fotografischen Stadtansichten Europas, aber auch ihr Engagement als Kriegsberichterstatterin in Indochina und ihre Bildreportagen sprechen für sich. Jean Cocteau und Walter Benjamin zählten zu den ersten Bewunderern ihrer Fotografien, ihrem realistisch unbestechlichen Blick auf die Welt. Die Künstlerin Germaine Krull misst sich an Größen wie Man Ray, László Moholy-Nagy oder André Kertész, mit denen sie befreundet war. Als Wegbereiterin der Street-Photographie aus der Sicht von Frauen steht Krull dabei nicht allein, auch ihre Kolleginnen, darunter Gisèle Freund, Ellen Auerbach, Lotte Jacobi, Ruth Jacobi, Marianne Breslauer, Helen Levitt, Ilse Bing und Margaret Bourke-White haben das Leben auf der Straße zu ihrem Sujet erklärt. Lange Zeit waren Krulls Werke in einzelnen Archiven verstreut und dem Publikum kaum zugänglich. Der Katalog schließt diese Lücke und präsentiert die Bilder einer außergewöhnlichen Fotografin, die sowohl mit der Kamera, als auch im Fotolabor experimentierte: Fotomontage, Bewegungsunschärfe, Doppelbelichtungen, Verfremdungen. Mit über 150 Vintage-Drucken wird ihr Blick auf die Welt nun wieder sicht- und erfahrbar.
AVIVA-Tipp: Wer die Ausstellung nicht besuchen kann, sei der gut gestaltete Bildband, erschienen im Hatje Cantz Verlag empfohlen. Die Ausstellung der großartigen, von experimentell bis inszenierten Aufnahmen dieser mutigen Frau und Vertreterin der weiblichen Fotografie, Germaine Krull, berührt, bewegt, informiert und darf keinesfalls verpasst werden. Deren Entwicklung von der Akt- zur Street- und Industriefotografin bis hin zur Kriegsberichterstatterin wird in den Räumen des Martin Gropius Baus authentisch erfahrbar gemacht. Germaine Krull war Zeitzeugin, Dokumentarin, Künstlerin und Handwerkerin in einer Person, die jedes persönliche wie künstlerische Wagnis eingegangen ist, um gute Fotos zu machen – und um der Welt den Spiegel vorzuhalten.
Zur Ausstellung
Öffnungszeiten Mittwoch bis Montag 10 – 19 Uhr, Dienstag geschlossen, an den Feiertagen geöffnet
Eintrittspreise
8 Euro / ermäßigt 6 Euro, Gruppen (ab 5 Personen) p.P. 6 Euro, Eintritt frei bis 16 Jahre, Kombi-Tickets zum vergünstigten Preis an der Kasse erhältlich
Online-Tickets: www.gropiusbau.de/tickets
Führungen und Workshops
Öffentliche Führungen
Sonntags, 13 Uhr (ohne Anmeldung), 3 Euro zzgl. Eintritt p.P. 6 Euro
Angemeldete Führungen
Für Gruppen: Führungen in deutscher Sprache (60 min.)
Erwachsene: 60 Euro zzgl. Eintritt p.P. 6 Euro
Schulklassen: 45 Euro zzgl. Eintritt p.P 4 Euro, Eintritt frei bis 16 Jahre
Führungen in anderen Sprachen zzgl. 10 Euro. Lunchführungen: Mittwochs 13 Uhr: 4.11.2015, 2.212.2015, 6.1.2016
Öffentliche Workshops für Familien
Sonntags 13 Uhr: 22.11.2015, 13.12.2015, 3.1.2016, 17.1.2016
keine Gebühr, Anmeldung empfohlen, begrenzte Teilnehmer_innenzahl
Programm: www.gropiusbau.de/schuelerprogramm
Beratung und Anmeldung für Führungen
MuseumsInformation Berlin
Tel. +49 30 24749-888, Fax +49 30 24749-883
museumsinformation@kulturprojekte-berlin.de
www.museumsdienst-berlin.de
Mehr Infos zur Ausstellung unter:
Martin-Gropius-Bau
Zum Bildband
Germaine Krull
Texte von Michel Frizot, Gestaltung von Sylvie Milliet
Deutsch
Hatje Cantz Verlag, erschienen 2015
264 Seiten, 270 Abb., 23,00 x 28,00 cm, Broschur
ISBN 978-3-7757-3999-3
Preis in der Ausstellung: 25 Euro
Preis im Buchhandel: 39,80 Euro
www.hatjecantz.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Gespiegeltes Ich – Fotografische Selbstbildnisse von Künstlerinnen und Fotografinnen in den 1920er Jahren. Herausgegeben von Gerda Breuer, Elina Knorpp
In Zeiten von Profilbildern als "Selfie" verunglimpft, war das fotografische Autoportrait in der modernen Avantgarde eine aussagekräftige Reflexion von Selbst- und Fremdzuschreibungen. Zugleich ist es bis heute ein wichtiges Mittel künstlerischer Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. In diesem Sinne untersucht diese Aufsatzsammlung weibliche Selbstportraits vor ihrem soziohistorischen Hintergrund.
Female Trouble - Die Kamera als Spiegel und Bühne weiblicher Inszenierungen - Inka Graeve Ingelmann
Drei Fotografinnen. Eine Doku von Antonia Lerch
Patricia Gozalbez Cantó - Fotografische Inszenierung von Weiblichkeit. Massenmediale und künstlerische Frauenbilder der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien
Madame Man Ray von Unda Hörner
Ellen Auerbach. Das dritte Auge
Ulrike Müller - Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst Handwerk und Design
Happy Birthday, Lotte Jacobi
Ruth Jacobi – Fotografien
Eva Besnyö. Budapest - Berlin – Amsterdam
Gisèle Freund. Photographien & Erinnerungen
Helen Levitt – Fotografien 1937-1991
Marianne Breslauer - Unbeobachtete Momente
Marianne Brandt 1893-1983. Fotografien am Bauhaus
Ré Soupault - Die Fotografin der magischen Sekunde und Frauenportraits
Trude Fleischmann - Der selbstbewusste Blick. A Self-Assured Eye
Margaret Bourke-White. Fotografien 1930-1945 Sie war in vielem die Erste: Die Pionierin des Fotojournalismus sah sich als "Auge ihrer Zeit". Sie war die erste Frau, die im 2. Weltkrieg auf amerikanischer Seite mitfliegen und -schwimmen durfte, die erste Frau, die Fotos von Stahlwerken, Generatoren, Maschinen und Material machte und als Industriefotografin Erfolg hatte.
Mehr zu Germaine Krull
Ein Portrait über Germaine Krull bei Fembio:
www.fembio.org
Ausstellungsliste Germaine Krull auf:
photography-now.com
Literaturliste im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek unter:
portal.dnb.de
Partner: Wall, visit Berlin, Where Berlin, Alexa, Bouvet Ladubay
Medienpartner: Tagesspiegel, inforadio, Monopol, Exberliner, AVIVA-Berlin.de,
Photo International, fotoforum-Verlag, EMOTION Verlag GmbH, schwarzweiss
(Quellen: Pressemitteilung Martin-Gropius-Bau, Hatje Cantz Verlag, AVIVA-Berlin
Copyright Fotos: Sharon Adler)